Wie man Schriftsteller wird Stephan Sarek

 

Es gibt drei Möglichkeiten, Schriftsteller zu werden.

Die erste ist, man heißt Ulrich Wickert. Da aber nur wenig Leute Ulrich Wickert heißen, kommt diese Möglichkeit für die meisten nicht in Betracht.

Die zweite Möglichkeit ist, man hat Talent. Das ist allerdings nicht unbedingt häufiger als Ulrich Wickert zu heißen, und so scheitern ebenfalls viele an dieser Hürde.

Die dritte Möglichkeit ist, man tut so als ob. Und das möglichst erfolgreich.

Ich entschied mich von Anfang an für die dritte Möglichkeit. Vorsichtshalber.

Zu diesem Zwecke begab ich mich zur Buchmesse, bevor ich überhaupt die erste Zeile zu Papier gebracht hatte. Hier, in diesem literarischen Hort, begann Teil 1 meines Planes. Unauffällig pfeifend schlenderte ich entlang der Verlagsstände und musterte heimlich deren Vertreter.

Die, die nur allzu offensichtlich Angestellte ihres Verlages waren, schieden von vornherein für meinen Plan aus.

Was ich brauchte, waren Manager. Leute, die etwas zu sagen hatten in ihrer Firma, Entscheidungsbevollmächtigte: mit anderen Worten, ich mußte an die Chefs heran.

Ich wurde fündig. Intuitiv hatte ich mein Zielobjekt erspäht. Jetzt konnte der zweite Teil des Unternehmens in Kraft treten.

Ich blieb an dem Mann dran. Während der Messe observierte ich ihn aus einer sicheren Ecke heraus. Studierte jede seiner Bewegungen, Gesten. Merkte mir, wie er lachte, wieviel Kaffee er trank, welche Kekse er aß.

Abends verfolgte ich ihn weiter. Durch die Restaurants der Stadt bis ins Hotel, in das ich mich ebenfalls einquartierte. Das Schlüsselloch ließ mich teilhaftig werden an seinen abendlichen Studien großer Meister: Berthold Brecht und Carl Barks. Ich hangelte mich an sein Schlafzimmerfenster und prägte mir seine Schlafhaltung ein um sie fürderhin zu übernehmen.

Ein kleiner Obolus überredete einen Mitarbeiter der Lobby zur Aushändigung seiner Adresse. Als mein Zielobjekt nach Hause kam, hatte ich längst eine kleine Wohnung gegenüber seines Hauses gemietet, nachdem es mir gelungen war, zwei weitere Bewerber bei der Polizei durch Denunziation für den Vermieter uninteressant zu machen.

Teil 3 begann. Tag und Nacht beschattete ich nun meinen zukünftigen Verleger an seinem Heimatort. In wechselnden Verkleidungen, mal als amerikanischer Tourist, mal als orthodoxer Rabbi, mal als Verwaltungsangestellter, blieb ich auf Tuchfühlung.

Ich war dabei, als er in seiner kargen Freizeit eine Jollenregatta gewann, brachte als nachgemachte Hebamme seine Tochter zu Welt und installierte in seinem Klo ein neues Fallrohr.

Nach und nach lernte ich ihn bis ins kleinste Detail kennen. Mehr noch, ich lernte so zu denken wie er; ja, ich war er!!

Doch nicht nur das: als ich erfuhr, daß ein entfernter Verwandter, ein gewisser Simon Miller, ihn mit der Übernahme eines Bildbandverlages in Amerika zu locken versuchte, sorgte ich durch gewagte Börsenspekulationen für einen kurzzeitigen Zusammenbruch der US-Börse, in deren Folge auch der renommierte Bildbandverlag Miller sein klägliches Ende fand. Mein Verleger blieb notgedrungen in Deutschland, und ich konnte den vierten und letzten Teil beginnen. Zu dieser Zeit lebte ich bereits mit zwei Existenzen. Die eine, ich selbst, war nach außen hin meine eigene Erscheinung. Die andere, die meines Verlegers, gab es in meinem Kopf.

Und dann begann ich zu schreiben. Bestens mit der Psyche meines zukünftigen Verlegers vertraut, schrieb ich, was er lesen wollte. Eine Geschichte, deren Handlung einzig und allein dazu bestimmt war, die Gefühle dieses Mannes zu hofieren. Ich verwandte die Bilder seiner Kindheit, die ich bei einem Wohnungseinbruch in seinen Fotoalben gefunden hatte, um das Gefühl der Vertrautheit in ihm zu wecken. Eine Seefahrergeschichte zudem, gespickt mit unauffälligen Parallelen zu seiner eigenen Gegenwart.

Doch das Genialste war der von mir verwandte Protagonist. Eine Charakterstudie darüber, was mein zukünftiger Verleger in seinen Träumen immer sein wollte. Ein Held, in Mimik und Gestik ihm ähnlich, voller Leidenschaft, Mut und Verwegenheit, doch gleichsam gerecht und souverän. Und das, was er als heimliche Sehnsucht in sich trug, gestattete ich meiner Romanfigur zu erleben. Es war die Geschichte meines Verlegers.

Ich nahm das Manuskript, ging zur nächsten Buchmesse, baute mich entschlossen vor dem Mann auf, dessen Vita mir in den letzten Jahren so vertraut wie meine eigene geworden war, und drückte ihm die Seiten in die Hand.

"Hier!" sagte ich, "lesen Sie das, Herr Rowohlt."

Verwundert schaute er mich an: "Ich bin nicht Rowohlt."

So kam ich zum Rake-Verlag.

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